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Durch das Jahr mit Wolfgang Golz – Oktober

Oktobermorgen
Bereift sind Busch und Baum und Erde.
Zum Süden zieht der erste Gänsekeil.
Am Gatter dampft und drängt sich schon die Herde
und blickt zum Hof voll hoffender Gebärde,
dort steigt der Rauch vom Herd so weiß und steil.

Am kleinen Moor

Der Herbststurm hatte mit großen Tropfen gegen die Scheiben getrommelt, bis ihm die Puste ausging und die Sonne die Wolken wieder aufriß.

In der folgenden Nacht klarte es auf, und die Sterne brannten am mondlosen Himmel. Der erste Frost senkte sich über das Land. Auf den Pfützen knisterte dünnes Eis und steif gefrorene Blätter klapperten um die Schritte der Fußgänger.

Hatte der kalte Wind die Bienenvölker bereits in die Kästen verbannt, so rückten sie nun noch enger zusammen.

Erst in der vorhergehenden Woche hatte ich auf einigen Ständen die Auffütterung beendet. Die Fermentierung des letzten Futters geriet nun in's Stocken.

Die erste Frostperiode war pünktlich eingekehrt.

„Du mußt einmal darauf achten“, hatte Wilhelm, der als Gärtner um diese Zeit um seine Chrysanthemen bangt, gesagt, „um den 10. Oktober kannst Du mit dem ersten Frost rechnen. Danach wird es wieder milder.“

Um die Monatsmitte gab es noch einige schöne Tage. Die Herbstastern spendeten Pollen, und die letzten Jungbienen tummelten sich in der Mittagssonne. Morgens hingen große Tautropfen am Flugloch als Zeichen der fortgesetzten Futteraufbereitung.

Wenn es auch manchmal scheint, als habe man die Völker zu reichlich aufgefüttert, so schaffen sie sich doch in den nächsten Wochen Platz für den Wintersitz. Es stimmt auch keinesfalls, dass die Wintertraube nur auf Leerzellen überwintert, das Futter über sich. Das trifft zu Anfang nur für den Kern der Wintertraube zu, während die Masse des Volkes zunächst auf verdeckeltem Futter sitzt.

Meist hält der Winter im Nordwesten vor Weihnachten keinen beständigen Einzug. Das oft im Gegensatz zur Luft wärmere Meer verhindert ein zu frühes Absinken der Durchschnittstemperatur. So verbleibt den Völkern genügend Zelt zur Pflege des Winterfutters.

Der Stand, den ich heute besuchen will, liegt am Rande eines kleinen Hochmoores. Es ist der verbliebene Rest einer einstigen großen Fläche moorigen Bodens, der nach dem letzten Krieg kultiviert wurde. Heide wuchs hier und die Birken im Moor sind gerade so alt, daß sie von den Schafen nicht mehr verbissen werden.

Die Dächer eines Einstellenhofes, der hier neu entstanden ist, blicken zum Moor herüber. Gepflegte Weiden, die noch genügend Kleenarbe enthalten, umgeben das Gehöft. Auf den tiefer gelegenen Wiesen blühen im Frühjahr Löwenzahn und Wiesenschaumkraut. In der Ferne schlängelt sich das Band einer Lindenallee von Dorf zu Dorf, erhebt sich die dunkle Kulisse ferner Wälder.

Der Platz am Moor ist jedoch kein Waldstand. Es ist Weiden- und Wiesenterrain, und die Lindenallee honigt längst nicht alle Jahre.

An den Moorrändern wächst etwas Faulbaum. Unbedeutende Restbestände an Besen- und Glockenheide erinnern an die einstigen großen Heideflächen, die in der Vergangenheit das Land überzogen. Längst tollt hier kein Birkhahn mehr und das wehmütige Lied der Heidelerche ist dem hellen Gesang der Feldlerchen gewichen, die das kultivierte Land in Besitz genommen haben.

Eigentlich bot sich hier nicht die richtige Grundlage für einen Bienenstand, hätte es am Rande des Moores nicht einen verlockenden Platz gegeben, der geradewegs dazu einlud, sich als Imker hier einzunisten. Eine kleine aufgelassene Weidefläche mit fester Zufahrt, von Birken und Weidenbüschen umstanden, bietet den Bienen einen heimeligen Standort. Nur über den Einstellenhof anfahrbar, ist der Platz vor unliebsamen Gästen geschützt.

Weiden- und Löwenzahnblüte versprechen eine gute Entwicklungstracht. Der nächste Wald, ein monotoner Kiefernbestand, ist zwar einen halben Kilometer entfernt und die genannte Lindenallee noch weiter, aber das gute Kleinklima des Standes und die ergiebige Entwicklungstracht schaffen gesunde und starke Völker, die ihre Flugbienenheere anscheinend über weite Strecken zum Einsatz bringen, mit einem guten Vorschuß aus der Frühtracht.

Wie sehr ein gutes Kleinklima und eine nahe Entwicklungstracht ausschlaggebend sein können, erweist sich an diesem Stand. Einflußreich ist hier auch das späte Pollenangebot der restlichen Heidebestände und der zuweilen blühenden Zwischenfruchtflächen eines Gutshofes, die in erreichbarer Entfernung liegen.

Gewöhnlich sind die Völker hier sehr stark, hängen zum Teil noch im Spätwinter bis in den Honigraum hinein.

Aber es gab auch ein Frühjahr, da sahen sie erbärmlich aus. Vorangegangen war ein Kahlfraß der Moorbirken. In Prozessionen stiegen die Birkenspannerraupen von den kahl gefressenen Bäumen herab, bedeckten den Boden und belagerten die Beutenwände. Tagelang wehrten sich die Bienen an den Flugfronten gegen die Raupen, die, frischgrünen oder auch abgestorbenen braunen Birkenästchen ähnelnd, buckelspannend von allen Seiten herankrochen.

Mit der Raupenplage war ein Anwachsen des Spitzmausbestandes verbunden. Die Waldspitzmaus und die mittelgroße Spitzmaus können den Völkern wenig anhaben. Die Zwergspitzmaus dagegen gelangt durch jeden Spalt, den eine Biene passieren kann, ausgenommen ein senkrechtes Absperrgitter. Aber wer wird schon solch ein Hindernis vor ein Flugloch stellen wollen, zumal auf einem Außenstand, der selten vom Imker kontrolliert wird?

Längst ist es mir zur Gewohnheit geworden, dass zu jedem Außenstand eine Zwergspitzmaus oder auch ein Pärchen ihrer Art gehören. Was sollte ich dagegen unternehmen? Gewöhnlich halten sich die kleinen Insektenjäger, die kleinsten Säugetiere, die es überhaupt bei uns gibt, an ein Eckvolk, ohne es jedoch umzubringen. Die Reste ihrer Mahlzeiten, abgebrochene Flügel und ausgehöhlte Bruststücke ihrer Bienenopfer, häufen sie in einer unbesetzten Ecke der Beute. Dort fühlen sich die Mauszwerge sicher, denn wer sollte ihnen dorthin folgen? Oft nicht größer als eine Hornisse, finden sie überall Zugang, steigen die Wabengassen empor und erbeuten die klammen Hautbienen der Wintertraube, schnappen sich vor allem auch die abgehenden Bienen, die, einem inneren Drang folgend, die Beute verlassen wollen, bevor sie verenden.

Aber die Bienen wehren sich auch gegen die kleinen Spitznasen. Manchmal finde ich im Frühjahr die Mumie eines solchen Zwerges am Beutenboden oder zwischen den Waben hängend. Einmal steckte noch der Bienenstachel direkt in der kleinen, spitzen Nase.

In jenem Winter, der auf die vielen Raupen folgte, hatten mir die Spitzmäuse die meisten Völker dieses Standes ausgedünnt. Zwei überlebten nicht, die übrigen erhielten erst spät die Honigräume.

Heute bin ich auf den Stand gekommen, um die Völker einzupacken. Eigentlich könnte ich mir diese Arbeit sparen, zumal bei den starken Völkern. Wenn jedoch die Taugrenze innerhalb des Honigraumes verläuft, kommt es dort im Frühjahr zu starker Nässebildung. Das ist zwar für die Bienen ungefährlich, aber die Beuten leiden mit den Jahren darunter. Dasselbe gälte für die Waben, die man im Winter im Honigraum beließe. Nässe und Schimmel zerstörten dann einen Teil von ihnen.

Ich habe mir einen klaren Oktobertag für mein Vorhaben ausgesucht. Weg und Weideflächen sind weiß bereift. Drei Rehe, die sich in der Nähe des Standes niedergetan hatten, wechseln aus dem Moor zum Wald herüber. Und dann schwingt plötzlich der Trompetenschrei einer Wildgans durch die Luft. Jetzt ist auch das Rauschen ihrer Schwingen zu hören. Wie die an den Himmel geschriebene Eins über dem Moor schwebt, kommt Unruhe in sie, und die Rufe mehren sich. Die Spitzengruppe, die der Formation als Windbrecher dient, wird gerade durch ausgeruhtere Tiere abgelöst. Als sie am Horizont untertauchen, bilden sie wieder ihre exakte Keilform.

In der kalten Nacht haben sich die Völker zusammengezogen und meine Arbeit geht schnell vonstatten. Aus einem Faulbeerbusch schneide ich mir einige Ruten heraus. Sie sind sehr gerade und ohne viele Nebenäste. Nach der Länge meines Schraubenziehers zerteile ich sie in Stücke. Dann stelle ich mir die Dämmplatten zurecht, mit deren Hilfe ich die Honigräume abschotten will. Das erste Volk, es ist mittelstark, hat sich gänzlich aus dem Honigraum zurückgezogen. Ich schiebe die Dämmplatte hinter das Absperrgitterschied und setze sie zunächst mit dem Schraubenzieher fest. Dieser hat zufällig die Länge, um stramm zwischen Rückwand und Dämmplatte zu passen. So kann ich danach in Ruhe die Dämmplatte mit zwei zugepaßten Stöcken festklemmen.

Einige Völker umlagern noch das Absperrgitterschied. Hier lasse ich zwischen Absperrgitterschied und Dämmplatte etwas Leerraum bestehen. Der Deckel des Honigraumes hält dann die Absperrplatte soweit, dass sie nicht umkippt.

Bei der niedrigen Außentemperatur geht das alles ohne Rauch. Zwar „murren“ die Völker etwas, aber nach kurzer Zeit haben sie sich wieder beruhigt. Mit Schwung werfe ich die leeren Futterkanister bis zum Wagen. Trotzdem lasse ich mir Zeit. Jetzt drängt mich nichts. Mit der Verpackung hat es keine Eile. Die Völker können nun gern weit und kalt sitzen. Andererseits sind sie auch mit der eingestellten Dämmplatte nicht eingeengt, entspricht der Brutraum der Längslagerbeute doch immerhin zwei Magazineinheiten.

Ich notiere mir noch, daß ein Kasten repariert werden muss und die Beuten einen neuen Anstrich benötigen, dann ist dieser Stand fertig. Bis ich beim letzten sein werde, geht der Winter vielleicht schon zur Neige.

Es ist immer ein gutes Gefühl, den Stand am kleinen Moor geschützt von viel Buschwerk und in relativ sicherer Abgeschiedenheit zurücklassen zu können.

Ein Trupp Schwanzmeisen, dem ich schon eine Weile zugeschaut hatte, turnt immer noch im Gezweig der Birken.

Im Osten ist die Sonne ein Stück höhergerückt. Der Reif verdampft im noch grünen Gras, und die Blätter taumeln in Scharen von den Bäumen.

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