Ich lag im Garten und war krank.
In der Kastanie saß der Star.
Ich schloss die Augen, und er sang,
die ganze Landschaft durch die Bank,
dass jeder Vogel bald in der Kastanie war.
Am Mühlenstau
An meinem Vaterhaus stand zwischen Hof und Garten ein alter Kastanienbaum. Hoch und schlank war er im Gegensatz zu seinen meisten Artgenossen gewachsen, als hätte er es darauf abgesehen, über das Haus auf den See zu blicken, der vor der Stadt lag. Wenn die Stare aus dem Winterquartier heimkehrten, schwangen sie sich in den hohen Baum und pfiffen munter drauflos, als wäre der Winter schon vorbei, während sie schneeflockenverhangen in der Krone schaukelten.
Später spielte sich ihr Leben mehr in einer der benachbarten Fichten ab, wo der Starenkasten hing. Dann saß der Starenvater vor dem Schlupfloch und quetschte mit Inbrunst seine „Ziehharmonika“. Bald meinte man, einen Bussard im Äther kreisen zu wissen oder den Warnruf des Hähers zu hören, am liebsten aber ahmte der Star den Lockruf eines Blesshuhns nach, dem er in dunklen Nächten im Schilf gelauscht hatte, in das die Starenschwärme zur Nachtruhe einfielen.
An diese Bilder muss ich denken, wie sich am Mühlenstau ein Trupp Stare in den Eichen gegen den Wind stemmt. An geschützten Stellen blühen schon die ersten Haselkätzchen, aber es weht ein kalter Nordwest, der Graupel und Schnee aus schwarzen Schauern in die dunkle Landschaft schüttet.
Vom nahen Mühlenstau stürzt das Wasser tosend zu Füßen der verfallenden Wassermühle herab. Seit über 20 Jahren steht mein Außenstand in diesem Bereich. In dieser Spanne habe ich seinen Standort viermal wechseln müssen. Da wäre ein Bienenhaus ganz sicher ein Hindernis gewesen. Immer waren Kahlschläge die Ursache, die dem Wind ungehinderten Zugang verschafften oder in einem Fall die schweren Randbäume über den Stand warfen. Nur das weit reichende Astwerk der Schattenbäume verhinderte, dass die Kästen von den Baumstämmen zermalmt wurden. So konnte ich sie mit Hilfe des Waldbesitzers und seines Frontladers aus der Belastung der gestürzten Bäume, die sie zu Boden gepresst hatten, befreien. Mitten im Winter verfrachtete ich sie einige hundert Meter weiter. Wie so oft in ähnlichen Fällen, haben die Bienenvölker keinen Schaden dabei genommen. Nur kann man sie zu anderen Zeiten nicht auf so kurze Entfernungen verstellen, was nur nach einer längeren Dauer fester Winterruhe ratsam ist. Aber es macht auch nichts, wenn man sie im Winter etwas spazieren fahren muss, sofern die Temperatur hoch genug ist, damit keine Bienen beim Verlassen der Wintertraube umkommen.
Ein anderes Mal waren die Völker bei der Verlegung in einen neu entstandenen Luftschlauch geraten und mussten abermals umgesetzt werden. In solchen Luftkanälen gedeihen die Bienen ähnlich schlecht wie in kalten Mulden oder Schattenzonen. Wie das Wasser in einem Flussbett sich unterschiedlich bewegt, so gibt es auch in der Luft bewegungsintensive und ruhige Zonen. Veränderungen der Landschaft, wie sie durch Kahlschläge entstehen, verschaffen dem Wind neue Wege, ähnlich dem Wasser, das bei einem Dammbruch einen anderen Lauf nimmt. Auch bei stillem Wetter herrscht dort immer etwas Luftzug. Die Temperaturen liegen umso niedriger. So schluckt der Luftschlauch den Wert der Sonneneinstrahlung im Frühjahr und einen guten Teil der Flugbienen dazu. Das kann auch keine noch so gute Isolierung der Beuten ausgleichen. Die Völker liegen hinter anderen Ständen zurück, versagen in der Frühtracht und erkranken leichter. So ist das Verlegen eines Standes, der in einen Luftkanal gelangt ist, immer ratsam.
Heute sind die Völker am Mühlenstau auf einen bewährten Platz zurückgekehrt, nachdem eine hoch gewachsene Schonung wieder dem Wind die Bahn verlegt hat.
Oft kommt auch Imkerbesuch hierher. An der nahen Bundesstraße liegt eine Bushaltestelle geradewegs in Höhe des Standes. Aber zu dieser Jahreszeit wird hier kein Imkerverein Station machen. Was würde ich den Imkern an einem unfreundlichen, dem Vorfrühling nahen Februartag zeigen wollen? Mancher möchte nichts vermuten, und doch gibt es Entscheidendes zu sehen.
Durch die letzte Verlegung des Standortes sind neue Völker auf den Stand gekommen, während die bisher in diesem Bereich stationierten auf einen anderen Außenstand verfrachtet wurden. Junge Völker stehen jetzt hier, die ihre Bewährungsprobe noch vor sich haben. Was mich heute interessiert, ist der Sitz dieser Völker im Spätwinter.
Längslagerbeuten in Standardausführung haben auf diesem Stand in Einzelaufstellung Platz gefunden. Das vorsichtig aufgeklappte Dach und der entfernte leichte Innendeckel geben mir den Blick durch die Folie auf den Brutraum frei. Hier kann ich alles ablesen, was ich wissen will. Wie weit der Wintersitz eines Volkes reicht, zeigen mir die während der Auffütterung entstandenen neuen Wachsbrücken zwischen Rähmchen und Folie. Je weißer sie sind, desto intakter ist das Volk. Es hat dann nur frische Wachsplättchen und kein abgenagtes Altwachs verwendet. Besonders interessiert mich jetzt die Menge des Kondenswassers, das in dicken Tropfen an den Außenseiten unter der Folie sitzt. Auch der Kondenswasserniederschlag lässt auf die Ausdehnung des Wintersitzes schließen. Mehr noch gibt er jetzt Auskunft über die Bruttätigkeit der Völker.
Wie seine Wachsbrücken verdeutlichen, ist das erste der Völker schon während der Auffütterung von seiner einstigen Sommerstärke auf die Hälfte des Brutraumes zusammengeschrumpft. Anscheinend hat es früh seine Bruttätigkeit eingestellt. Ihm wurden deshalb im Herbst auch etliche Waben aus dem Brutraum entnommen. In dessen Leerbereich hängen unter der Folie dicke Tropfen, ein Zeichen einsetzender Bruttätigkeit. Das Volk dürfte erst im Sommer trachtfähig werden.
Das zweite Volk zeigt ein erfreulicheres Bild. Es hat schneeweiße Wachsbrücken bis in den Außenbereich des Wabenbaus. Einzelne Wassertropfen zeigen auch hier den zögernd einsetzenden Brutbeginn an. In einigen Wabengassen reicht die Wintertraube bis an die Trageleisten, aber die Bienen sitzen noch fest und ruhig. Ein prächtiges Volk, das seinen Weg machen wird.
Dann kommt ein Volk, das mir um diese Zeit gar nicht gefällt. Viele wären sicher von seiner Stärke um diese Zeit beeindruckt. Es sitzt schwarz unter der Folie und beherrscht bereits den Brutraum. Zu den Außenwänden hin hängt unter der Folie starker Kondenswasserniederschlag. Ich hebe den Deckel vom Honigraum ab: auch dort hat sich an den Wänden trotz der Abschirmung des Brutraums Dunst abgesetzt. Das Volk ist ein Frühbrüter und bereits stark In Brut gegangen. Vom Spätsommer her haben die Völker viel Pollen im Wintersitz und an Futter mangelt es ihnen nicht. Wenn das Frühjahr günstig wird, kann dieses Volk ein gutes Frühtrachtergebnis liefern. Gibt es aber einen garstigen Lenz, dann wird sein Vorsprung dahin schmelzen wie der Schnee in der Märzsonne. Wenn ich auf solchen Völkern meine Nachzucht aufbauen wollte, muss ich in Krisenfrühjahren mit stärkeren Verlusten rechnen.
Das nächste Volk zeigt ein geradezu entgegengesetztes Bild. Auf den ersten Blick möchte man meinen, der Wabenbau sei unbesetzt. Es ist von oben durch die Folie Infolge der Hochwaben keine Biene zu sehen. Ich weiß aber von der Auffütterung her dort ein ähnlich starkes Volk wie das zuvor geschaute sitzen. Es verharrt noch bombenfest in der Wintertraube. Auch die milde Witterung der letzten Wochen konnte es noch nicht verleiten, seine Traube zu lockern. Seine innere Uhr ist auf späteres Wecken gestellt, an dem sein Brutzyklus wieder einsetzen wird. Das sind die Völker, die ich bevorzuge. Sie haben den sparsamsten Verbrauch an Kraft und Vorrat. Ihre Honigkränze aus dem Vorjahr sitzen noch zur Frühtracht über dem kompakten Brutnest, so dass der frische Honig voll in die neue Ernte fließt. Dabei tragen seine Altbienen den meisten Frühtrachthonig ein, indem sie noch wenig verbraucht sind. Es ist nämlich ein Irrtum, zu glauben, nur die früh startenden Völker würden viel Frühtrachthonig liefern. Bei letzteren sind die langlebigen Winterbienen bereits vor der Frühtracht verbraucht, der Winterspeck, der Vorrat, restlos verzehrt. Ein später Wintereinbruch bringt solche Völker in ernste Gefahr, weil sie nichts mehr an Kraft, Pollen und Vorrat zusetzen können. Sie haben einen für unsere nördliche Region unnötigen Bienenumsatz betrieben. Heute kommt noch hinzu, dass nicht nur die Nosema sondern auch die Varroa in ihnen ein günstiges Entwicklungsfeld findet. Die Milben bekommen einen großen Entwicklungsvorsprung, der ihre Sippe früh erstarken lässt. So finden mehrere negative Voraussetzungen zusammen, die den Zusammenbruch solcher Völker begünstigen. Spätbrüter dagegen zwingen auch die Varroa zu einer längeren Brutpause und unterstützen die Bekämpfung des Schädlings.
Wir müssen die natürliche Genbasis unserer Bienenstände, die unsere Voraussetzungen berücksichtigt, wieder neu aufbauen, wollen wir nicht zu einer immer komplizierteren und risikoreicheren Betreuung unserer Völker fortschreiten. Dazu mag der spätwinterliche Besuch des Standes am Mühlenstau ein kleines Beispiel sein. (*Anmerkung)
Die Tage im Februar sind schon entschieden länger geworden. Bevor es dunkelt, sind die Stare noch einmal in das grüne Land geflogen, um auf den Weiden nach Wiesenschnakenlarven zu stochern. Bald werden sie dort wieder den Ruf der Uferschnepfe im Ohr haben, wenn „Greta Langbein“ im Balzflug über dem Teufelsmoor kreist und laut ihren Namen „Greta, Greta, Greta, Greta...“ ausposaunt, den die Stare der Niederung so gern imitieren.
Anmerkung: Nach der diesjährigen Erhebung (Winter 2011/12) zu den Spätsommer- und Herbstverlusten des Fachbereichs Bienen und Imkerei (FBI) in Mayen ist zu erwarten, dass auch dieser Winter wieder viele Völker das Leben kosten wird. Das FBI rechnet Deutschland weit mit Verlusten von ca. 30%. (Vgl. Infobrief_2011_27 vom 02.12.2011) Ob diese Verluste alle von der Varroa verursacht sein werden, oder nicht doch auch andere Ursachen im Bereich Vitalität und Gesundheit in Betracht kommen, sei einmal dahin gestellt. Wie aber kann der einzelne Imker, abgesehen von einer sachgemäßen Varroabekämpfung, diesen wiederkehrenden Verlusten begegnen bzw. vorbeugen?
Wer Jahr für Jahr konsequent und reichlich, über den eigentlichen Bedarf hinaus, von den Völkern nachzieht, die in jeder Hinsicht, besonders aber im Bereich der Vitalität und Robustheit, überzeugen, hat bereits das Wesentliche getan. Darüber hinaus ist es ratsam, die schlechteren Völker, z.B. mit einem Eistreifen, umzuweiseln. Eventuelle Verluste sind dann für ihn eine natürliche Selektion, die ihm auf die Dauer bei seinen züchterischen Bemühungen hilft, zu einem gesunden und an die regionalen Bedingungen angepassten Bestand zu kommen.
Die schwächsten der eventuell überzähligen ausgewinterten Völker können vereinigt werden, sofern sie gesund sind. Solche Völker dürfen selbstverständlich nicht mehr zur Zucht verwendet werden! Am besten weiselt man sie im Laufe des Frühjahrs mit Hilfe eines Eistreifens oder einer Eiwabe um. Hat man überhaupt eine gute Überwinterung, können überzählige Völker natürlich auch abgegeben werden.
Wer von großen Verlusten betroffen ist und Völker zukaufen muss, sollte sich selbst und seinen Nachbarn den Gefallen tun, diese möglichst in der näheren Umgebung zu besorgen. Solche Völker haben unter Bedingungen überlebt, unter denen seine eigenen eingegangen sind. Muss von weiter her zugekauft werden, ist es ratsam, Völker aus raueren Gegenden als der eigenen zu bevorzugen. Sie haben größere Chancen, am neuen Standort zurecht zu kommen, als Völker aus milderen Gegenden.
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