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Durch das Jahr mit Wolfgang Golz – Juli

Es wohnt dem Menschen unter'm Scheitel
sein Denken aufgebläht und eitel,
als würde erst durch ihn gesunden,
was Gott voll Weisheit einst erfunden,
bis dann der Mensch mit Schrecken sieht,
die Katastrophe, die ihm blüht.

Der Prüfstand

Der Prüfstand, von dem hier die Rede ist, war ursprünglich nicht als solcher von mir geplant gewesen.

Alte Waldbestände aus Eiche, Fichte und Kiefer waren der Anlass zu seiner Einrichtung. Ein windgeschützter Aufstellungsplatz ist vorhanden, sogar mit einem Rinnsal in der Nähe, das die Wasserversorgung der Völker sichert. Aber eine frühe Entwicklungstracht in Standnähe fehlt weithin, und die Flugbienen müssen einen weiten Weg zurücklegen, um außerhalb der dichten Waldbestände etwas einzuheimsen. Kein Wunder, daß hier die Entwicklung verzögert einsetzt. Die Völker halten lange ihre Vorräte, und erst mit der Blüte der Heidelbeere, die sporadisch in den alten Kiefernschlägen angesiedelt ist, setzt bei den Völkern die volle Bruttätigkeit ein.

In Jahren, in denen der Wald honigte, hat es hier gute Zunahmen gegeben, aber die meisten Völker waren nicht in der Lage, einen zufriedenstellenden Ertrag zu erwirtschaften, während es einzelne Völker trotz allem zu Spitzenleistungen brachten.

So lag für mich der Schluss nahe, die einzelnen Herkünfte unter diesen extremen Bedingungen zu testen, denn von meinen Beobachtungen her war mir längst klar, dass Stände mit gutem Kleinklima, mit reicher naher Entwicklungstracht und einem guten Gesamttrachtangebot keine verlässliche Grundlage für die Güte und Beurteilung einer Herkunft sind. Die Gefahr ist immer vorhanden, dass auf bevorzugten Plätzen ausgelesenes Bienenmaterial auf anderen Standorten kläglich versagen kann.

Gewöhnlich erwartet der Imker oder Züchter von einem Prüfstand Aufschluss über das dort eingesetzte Bienenmaterial. Herkünfte, Linien oder die Zuchtprodukte verschiedener Imker werden miteinander verglichen. Aber welchen Aussagewert haben solche Prüfstände? Sie ermöglichen lediglich das Sammeln von Fakten, die jedoch in eine Relation zur Gesamtsituation zu bringen sind. Ein einzelner Prüfstand ist nur ein Mosaikstein im ganzen Trachtgeschehen, wobei der Lage des Standes eben so viel Wert beigemessen werden muss, wie dem Bienenmaterial selbst.

Ein Standort hat ganz wesentlichen Einfluss auf die Beurteilung der dort stationierten Völker. Da ist einmal das Großklima, die Wetterzone, Landschaften, die man grob in milde und raue Lagen einteilen kann, aber innerhalb dieser schafft wieder das Kleinklima die unterschiedlichsten wie auch gegensätzlichsten Situationen. So gibt es in rauen Gegenden günstige Kleinklima-Oasen und umgekehrt in milden Landstrichen völlig ungeeignete Standorte.

Um eine Herkunft, eine geographische Bienenrasse oder eine Kunstrasse auf ihre klimatische und damit wirtschaftliche Eignung zu prüfen, braucht man nach meinen Erfahrungen wenigstens 10 Jahre und ebenso viel verschiedene Standorte. In den ersten Jahren, den ersten Standkreuzungen übersteigert der Heterosiseffekt gewöhnlich die Veranlagungen. Erst, wenn der Heterosiseffekt erlischt, zeigen sich die realen Veranlagungen und Möglichkeiten der betreffenden Abstammung. Nach meinen Beobachtungen vieler Folgen der Auslese bei Standbegattung tritt ein Phänomen immer deutlicher zutage:

Die Grundeigenschaften der einzelnen Herkünfte bzw. Rassen lösen sich nicht bereits nach wenigen Generationen Standbegattung auf. Sie wirken über viele Generationen weiter und in welchem Zeitraum eine echte Akklimatisation überhaupt möglich ist, lässt sich nicht absehen. Zwar erreicht man durch die fortgesetzte Standbegattung eine bessere Stabilisierung, wenn man entsprechend scharfe Auslese betreibt, doch bleibt man auch in der Folge nicht von negativen Überraschungen verschont. (*Anmerkung 1)

So ist die Zerstörung der ökologischen Grundlage der Lokalrassen ein Fehler, der auf lange Sicht nicht wieder gutzumachen sein wird. Dabei ist die zusätzliche Belastung durch die Varroa noch gar nicht einmal berücksichtigt. Sie wird eine weitere Verschärfung, weil eine zusätzliche Belastung, der Situation bringen.

Harte Bienen sind darum gefragt, die notfalls auch in kleinen Einheiten überwintern können, wenn eine späte Tracht die Brutnester einschnürt, die nicht gleich die Ruhr auf dunklem Honig bekommen und deren Brutgeschehen ohne Risiko verläuft.

Unsere Bienenzeitungen sind voll von der Diskussion über das Schreckgespenst Varroa. Die Varroatose ist ganz sicher nicht leicht zu nehmen. Kaum jemand spricht jedoch über die hohen Völkerverluste, die jeweils mit einem ungünstigen Frühjahr über die deutschen Völkerbestände hereinbrechen.

Der Winter 1984/85, der gebietsweise bis in den Mai hinein andauerte, brach dann auch als eine Katastrophe über viele Bienenstände herein. Man spricht von 200.000 (zweihunderttausend) toten Völkern oder gar von einem Drittel des Völkerbestandes in der Bundesrepublik Deutschland. Viele Stände wurden total ausgelöscht oder doch nachhaltig dezimiert. Dass hier und dort auch die Varroa daran beteiligt war, trifft gewiss zu, aber ganz sicher nicht für den größten Teil der eingegangenen Völker.

Zweifellos ist das Zusammentreffen mehrerer Faktoren für ein solches Fiasko vorauszusetzen.

Ein Punkt war, ob jemand im ungünstigen Sommer seine Bienen gepflegt oder vernachlässigt hatte. Daraus ergab sich oft die Kondition, mit der die Völker in den Winter gingen. Zweitens war entscheidend, dass die Schwarmstimmung im Sommer '84 auf den meisten Ständen sehr stark auftrat und die Wiederbeweiselung der Völker durch die schlechte Witterung verzögert wurde, was in vielen Fällen die Winterstärke negativ beeinflusste.

Alles das täuscht aber nicht darüber hinweg, dass es sich in erster Linie um eine genetische Katastrophe handelte.

Wenn man die Winterfestigkeit durch vereinigte Völker zu sichern glaubt, so geht das eine Zeit gut, aber solche Biene wird schließlich keine Winterfestigkeit vererben und bei minderer Stärke eingehen.

Wenn man die Nosemaanfälligkeit mit einem Heilmittel überdeckt, so wird das eine Weile gelingen, aber eine sichere Durchlenzung kann eine solche Biene nicht vererben und der Tag kommt, an dem die Rechnung dafür bezahlt werden muss.

Es gibt vieles, was man dafür und dagegen vorbringen kann, aber aus allen Vergleichen schält sich doch klar heraus: solch riesige Verluste sind nur bei einer genetischen Fehlsituation möglich, die einmal durch klimatisch ungeeignetes Bienenmaterial und zweitens fehlende scharfe Auslese entstanden ist. (*Anmerkung 2)

Dafür mag noch einmal der erwähnte Prüfstand ein Beispiel geben.

Als mir die schwierige Lage des Standes seinerzeit richtig klar wurde, machte ich aus der Not eine Tugend. Also nahm ich von den Herkünften Buckfast, Carnica und Cecropia einige Testköniginnen, von besten Völkern abstammend, auf den nun zum Prüfstand erhobenen Platz, die hier unter harten Bedingungen antreten mussten.

Hier konnte nur eine langlebige, robuste und flugstarke Biene überleben, das heißt: Erträge bringen.

Die Flugbienen der Buckfast und Cecropia aber auch eines Teiles der Carnica verloren sich in der Weite des Raumes, sie hatten Mühe, ihre Brutnester zu versorgen, die nicht von einem stärkeren Bienenbesatz belagert waren, der eine zufriedenstellende Ernte hätte erzielen können.

Aber es war auch ein Spitzenvolk dabei, dessen Leistung überraschte. Seine Nachzucht hatte in der Folge keine Mühe sich auch auf anderen Ständen hervorzutun.

Auf solchen Prüfständen habe ich gelernt, dass die Überlebensfähigkeit des Bienenvolkes die Grundvoraussetzung der Auslese ist. Nicht Rasse, nicht Leistung verbürgen in erster Linie die kontinuierliche Wirtschaftlichkeit, sondern Überlebensfähigkeit und Anpassung an die jeweiligen Umweltverhältnisse.

Erst darauf können Leistung und andere Eigenschaften aufbauen.

Es ist damit zu rechnen, dass die zusätzliche Belastung der Varroa früher oder später alles das hinwegfegen wird, was nicht in unsere Landschaft passt.

Darum ist Auslese vor Ort unersetzlich.

Anmerkung 1: Hier ist selbstredend von der Akklimatisation der Mutterlinie durch fortlaufende Selektion der standbegatteten Nachkommen die Rede, nicht von der Akklimatisation einzelner Völker. Letzteres ist natürlich völlig unmöglich: ein Volk hat sein Verhaltensspektrum, dieses passt mehr oder weniger zu seiner Umwelt oder eben nicht.
Will man eine ursprünglich nicht (gut) angepasste Herkunft an eine neue Umgebung anpassen (akklimatisieren), so braucht man Geduld und einen langen Atem. Jeder spätere Zukauf weiterer Völker dieser Herkunft wirft ein solches Unterfangen wiederum zurück.

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Anmerkung 2: Hier ergibt sich natürlich ein wunderschönes Spielfeld für begnadete Pingpongspieler: Der eine schiebt die Verluste auf die Varroa, der nächste auf die Agrochemie und der Dritte auf die unzureichende Anpassung an die Klima- und Trachtverhältnisse und unzureichende Auslese vitaler und robuster Völker. Keiner „kehrt vor der eigenen Haustür“, jeder verweist auf die Fehler der anderen.

In Wirklichkeit, so scheint mir, sind alle diese Faktoren an den Problemen unserer Bienen beteiligt und jeder kann einen Ansatzpunkt finden, an dem er seinen Beitrag zum Wohlergehen der Bienen leisten kann. Der Weg der Basiszüchter ist es, reichlich und nur von robusten und vitalen Völkern nachzuziehen, die auch sonst überzeugen und diese Nachzucht im folgenden resp. in den folgenden Jahren scharf zu selektieren. Wenn Verluste durch Zukauf ausgeglichen werden müssen, sollte unbedingt darauf geachtet werden, Völker nur aus Gegenden mit ähnlichen oder raueren Bedingungen als den eigenen zu besorgen. Sonst sind die nächsten Verluste bereits programmiert.
Für mich persönlich sind die wahren Blender Völker, die zwar im laufenden Jahr eine Spitzenhonigleistung erbringen, lammfromm und schwarmträg sind, aber in schlechten Zeiten wirklich kümmern oder den Winter nur mit knapper Not überstehen.

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